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  • AutorenbildNadine Pungs

Die Freiheit der Frauen

Bestürzt schauen wir in diesen Tagen nach Polen, wo das Verfassungsgericht eine weitere Verschärfung des ohnehin schon strengen Abtreibungsrechts beschlossen hat. Doch auch in Teilen Deutschlands sind Frauen in ihrem Recht auf körperliche Selbstbestimmung durch einen konservativen Backlash gefährdet.


Cartoon © Guido Kühn

»Moja macica nie kaplica«, rufen tausende Menschen in Warschaus Straßen - »meine Gebärmutter ist keine Kapelle!« Frauen und Männer halten Plakate in die Luft, sie fordern die Liberalisierung des Abtreibungsrechts, das sowieso schon zu den strengsten in Europa zählt. Im Oktober hatten die polnischen Richter außerdem entschieden, dass Frauen auch dann keinen Schwangerschaftsabbruch vornehmen dürfen, wenn der Fötus schwere Fehlbildungen aufweist. Verantwortlich für dieses de facto Abtreibungsverbot sind die nationalistisch-konservative Regierungspartei PiS und die katholische Kirche. Seit dem Entscheid protestieren unzählige Bürger und Bürgerinnen, denn die Lage ist ernst. Mittlerweile fordert sogar das Europaparlament das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung für polnische Frauen ein.

Was in Polen passiert, erscheint uns ungeheuerlich. Dabei gibt es auch in Deutschland restriktive Tendenzen. Der Körper der Frau ist seit jeher besetztes Land. Auf ihm werden immer noch Kämpfe gegen die Errungenschaften der Emanzipation ausgetragen. Nach Ansicht einiger Konservativer und Rechtspopulisten sollten Frauen nämlich nicht uneingeschränkt über ihren Uterus entscheiden dürfen. Abtreibungsgegner lungern vor Frauenarztpraxen und Beratungsstellen herum und beschimpfen Ärzte und Patientinnen. Und die Kirche spielt sich ohnehin als Hüterin des ungeborenen Lebens auf und lehnt Schwangerschaftsabbrüche ab. Aber auch ohne diese Bedrohungen sind ungewollt Schwangere in Deutschland hohen Belastungen ausgesetzt, denn die Gesetzgebung ist rigide. Sie stigmatisiert Frauen, macht sie zu Mündeln. Wer eine Schwangerschaft beendet, begeht laut Strafgesetzbuch eine Straftat, die theoretisch Gefängnis nach sich ziehen kann. Nur wenn die schwangere Person sich einer staatlich anerkannten Konfliktberatung unterzogen und drei Tage darüber nachgedacht hat, ist der Abbruch in den ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft laut Paragraf 218a straffrei. Rechtswidrig bleibt er dennoch.


Hinzukommt, dass die Zahl der Kliniken und Arztpraxen, in denen Abtreibungen vorgenommen werden, abnimmt - auch aus Angst vor Anfeindungen - und weil Paragraf 219a des Strafgesetzbuches Ärzten weitgehend untersagt, über ihre Methode zu informieren. Zwar sollte eine Reform des Paragrafen das Werbeverbot für Abtreibungen klären, doch die Rechtsprechung ist uneinheitlich. Überdies meldeten laut Statistischem Bundesamt im ersten Halbjahr 2020 nur noch 1120 Kliniken und Praxen, dass sie Abbrüche vornehmen. Anfang der 2000er-Jahre waren es fast doppelt so viele. Medikamentöse Aborte werden in etlichen Arztpraxen überhaupt nicht angeboten, nur Absaugungen unter Vollnarkose, und dafür braucht es zusätzliches Personal wie einen Anästhesisten. Das kann nicht jede Praxis stemmen. Außerdem gehören Abtreibungen nicht unbedingt zum Lehrinhalt an Universitäten - Medizinstudenten werden unzureichend über die verschiedenen Methoden aufgeklärt.

In manchen Teilen Deutschlands ist die Versorgungslage in jeder Hinsicht prekär. In Bayern beispielsweise müssen Frauen für einen Schwangerschaftsabbruch weite Wege auf sich nehmen. In Passau gibt es keinen einzigen Arzt mehr, der Schwangerschaften beendet - der letzte ist kürzlich in Rente gegangen. Frauen sind also gezwungen, nach München oder Nürnberg zu fahren. Hunderte Kilometer von Passau entfernt. Normalerweise verpflichtet ein Bundesgesetz die Länder, ein ausreichendes ambulantes und stationäres Angebot für Schwangerschaftsabbrüche sicherzustellen. Doch der Passauer Stadtrat hat per Beschluss Abtreibungen am städtischen Klinikum verboten.

Die Freiheit der Frau ist ein Seismograf für die Freiheit der Gesellschaft. Sobald sich Gesellschaften zurückentwickeln, trifft das am stärksten die Frauen. Vor einem konservativen Backlash, wie er in einigen Ländern Europas zu beobachten ist, sind auch wir nicht gefeit. Die Tendenzen sind da; Abtreibungsgegner gewinnen Anhänger, christlich-fundamentalistische Bewegungen sind politisch und international gut vernetzt. Und die AfD wartet ohnehin auf ihre Chance. Das ungeborene Leben ist all diesen Akteuren schon immer wichtiger gewesen als das bereits geborene. Text © Nadine Pungs #abtreibungen #abtreibungsrecht #selbstbestimmung #paragraf218a #218a #frauenrechte

Cartoon © Guido Kühn

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