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  • AutorenbildLutz Jäkel

Grünes, eisiges Land

Reportage


Island und Grönland: Faszinierende Landschaften aus Feuer und Eis. Doch diese einzigartigen Naturräume sind bedroht, von uns Menschen, vom Klimawandel. In Island ist es wärmer geworden, es regnet mehr als es ohnehin auf Island üblich ist, auf Grönland schmilzt das Eis. Die Buntdenker möchten die unterschiedlichsten Landschaften dieser so schönen Erde zeigen. Und damit für deren Fragilität sensibilisieren.


Am Gletscherrand des Langjökull angekommen, lässt Kristján etwas Luft aus den Reifen, gibt kräftig Gas, in Schlingerfahrt schraubt sich der Jeep durch den tiefen Schnee, der auf dem Eis liegt, die Fahrspuren anderer Wagen sind verweht. „Manchmal kommen wir hier mit bis zu 60 km/h hinauf“, sagt Kristján, der zu den Pionieren in der Reisebranche der Vulkaninsel gehört, „heute können wir froh sein, wenn wir überhaupt das Plateau erreichen.“


Immer wieder muss der erfahrene Isländer den Wagen stoppen, eine neue Spur suchen, nur leicht Gas geben, dann kräftiger und hin und her lenken, so greifen die Reifen besser im Schnee. Nach einer guten halben Stunde stehen wir auf dem Plateau des Gletschers, doch die Sicht reicht nicht weit, es ist zu neblig. Für einen Gipfeltrunk aus isländischem Aquavit reicht es aber allemal, um sich dem besonderen Moment bewusst zu sein, mitten im Sommer auf einem schneebedeckten Gletscher zu stehen. Und nicht zu vergessen, dass tief unten es schon wieder aus Glut und Feuer brodelt.


Island ist seit jeher für viele Reisende das Sehnsuchtsziel für Freiheit und Abenteuer. Lava- und Schotterwüsten, meterdicke Eiskappen, Vulkane, das wollen sie erleben, meist auf eigene Faust. Manche wandern durch die menschenleeren Hochebenen, andere stellen sich den reißenden Flüssen mit Schlauchboot oder Kajak, andere treten sich die Lunge aus dem Leib, wenn sie mit den Mountainbikes die Gletscher hochstrampeln. Das sind die ökologisch sinnvollsten Varianten.



Für die körperlich etwas weniger Geübten bietet sich die Tour mit einem erfahrenen Isländer wie Kristján und seinem Jeep an. Kristján kennt durch seine langjährige Erfahrung „off the beaten tracks“, die man trotz des starken Tourismus auf einer so dünn besiedelten Insel wie Island viele hat.


Es geht zunächst in den Süden, entlang der Straße sind immer wieder Rauchschwaden zu erkennen, es brodelt an vielen Ecken. Heizung und heißes Wasser für die Häuser, alles direkt aus Mutter Erde. Endlose Lupinenfelder sorgen für hübsche Farbtupfer.


Der nächste Morgen ist unerwartet sonnig. Zunächst. Kaum haben wir den Jeep bestiegen, fahren abseits der gut ausgebauten Straßen auf einer Piste in Richtung Katla, dem Vulkan, der zuletzt 1918 ausbrach, hängen die Wolken wieder tief. Um im nächsten Moment wieder aufzureißen und in dramatischen Linien die Sonne durchzulassen. Nicht umsonst heißt es auf Island: Wenn das Wetter schlecht ist, warte fünf Minuten.



Island zeigt sich jetzt, wofür es berühmt ist: Sattgrüne, mit Moos, Flechten und Gras bewachsene Ebenen, über die gerade eine Herde Islandpferde rennt, von Lava geformte Landschaften, Felsen, die wie Trolle erscheinen, herrlich buntschimmernd die stets schneebedeckten Berge und Vulkane im Hintergrund. Alles wirkt wie gezeichnet und geformt, doch der größte Maler und Bildhauer ist die Natur selbst. Wir sind im Gebiet der Landmannalauger, der „warmen Quellen der Landmänner“, eine Landschaft, die zwar idyllisch und wie geschaffen ist als Filmkulisse für internationale Produktionen wie „Games of Thrones“ oder „Star Wars“. Doch einst war es ein Verbannungsgebiet für Schwerverbrecher, idyllisch war für sie hier nichts. Es war die Hölle, denn Hoffnung auf Überleben gab es nicht.


Wir wollen mit einem Schneemobil auf einen der Hauptvulkane Islands fahren, auf den knapp 1500 Meter hohen Hekla. Bei guter Sicht sieht man von dort aus den Schrecken aller Vulkane, zumindest aus jüngster europäischer Sicht: Eyjafjallajökull, der Vulkan mit dem für Nichtisländer unaussprechlichen Namen, legte bei seinem Ausbruch 2010 mit seiner riesigen Staub- und Aschewolke fast den gesamten Luftverkehr in Europa lahm. Doch: Es nieselt, die Wolken hängen erneut tief, die Vulkane bleiben verborgen. „Dieses Jahr ist es besonders heftig,“ sagt Kristján, während er seinen Jeep auf eine Nebenstraße lenkt. „Seit der Wetteraufzeichnung vor über einhundert Jahren hat es nicht so viel Regen gegeben wie in diesem Jahr. Das wird selbst uns Isländern zu viel.“



Wir setzen unseren Weg an der Küste fort, fahren über die berühmten schwarzen Strände, über die Fighter aus „Star Wars“ hinwegflogen, computeranimiert natürlich. Doch die Kulisse ist echt. Wir entdecken ein Skelett eines gestrandeten Wals, erreichen bei Dyrholaey das südlichste Kap der Insel, wo Wind und Wasser bizarre Felsen im Meer geformt haben, vor denen seit 1927 der Leuchtturm auf der Anhöhe nahende Schiffe warnt. Schließlich kommen die bizarren und wie mit überdimensionalen Schwertern geschnittenen Basaltkathedralen von Reyninsfjara in Sicht, die als Vorbild für den Bau der Kathedrale von Reykjavik dienten. Man mag sich kaum vorstellen, dass sie alleine durch Druck, Hitze und tektonische Verschiebungen entstanden sind.


Die Aufnahme aus der Luft, fotografiert mit der Drohne, zeigt es besonders eindrücklich: Die grandiose Schlucht, inmitten von Lavafeldern des Thingvellir Nationalparks, die Silfra-Spalte, die die beiden tektonischen Platten, die amerikanische und die eurasische, voneinander trennt. Man wechselt bei einem Spaziergang durch diese Schlucht zwei Kontinente.



Unweigerlich kommt einem der Roman „Reise in den Mittelpunkt der Erde“ in Erinnerung, in dem der französische Schriftsteller Jules Verne jene fantastische Reise von 1863 beschreibt, bei der der eigenwillige Geologie-Professor Otto Lidenbrock aus Hamburg eine geheimnisvolle Botschaft des isländischen Alchemisten Arne Saknussemm entziffert, sich daraufhin in den Krater des Vulkans Snæfellsjökull begibt, um zum Mittelpunkt der Erde zu gelangen. Durch den Krater des Vulkans auf der italienischen Insel Strombuli auf Sizilien gelangt er wieder an die Erdoberfläche.


Zurück in Reykjavik, in der „rauchenden Bucht“, die nördlichste Hauptstadt der Welt, überschaubar groß. Dabei hat die Stadt, in der ein Drittel aller Isländer leben, vor allem in den letzten Jahren eine sehr lebendige Szene aus Kunst, Kultur, Bars und vor allem guten Restaurants entwickelt. Moderne, typisch nordische Architektur neben älteren Holzhäusern zeigen diesen Mix aus Modern und Alt, der dieser Stadt Charme verleiht, lohnend für einen längeren Besuch.



Doch wir sind auf den Spuren der Kontraste von Feuer und Eis. Und Eis findet man vor allem hier, auf Grönland. Knapp drei Stunden braucht die kleine Turboprop der Air Iceland von Reykjavik nach Ilulissat, wir überfliegen dabei das gesamte Inlandeis von Osten nach Westen. Neben der Antarktis ist diese Eisfläche mit rund zwei Millionen Quadratkilometern die zweitgrößte vereiste Landfläche der Welt. Bis zu 3000 Meter dickes Eis bedeckt die größte Insel der Erde. Würde alles Eis Grönlands schmelzen, stiege die Wasserlinie weltweit um rund sechs Meter.


Doch das Eis drängt an die Ränder der Insel, wo es ins Meer abbricht und Eisberge von oftmals mehreren Kilometern Länge entstehen lässt. Die schönsten kalben in der Diskobucht bei Ilulissat ins Meer und kommen durch die Meeresströmung gegen den Uhrzeigersinn manchmal bis nach New York. Ein solcher Eisberg wurde der Titanic zum Verhängnis.



Zum Schönsten und Faszinierendsten, was Auge und Kamera zu sehen bekommen können, ist, diese Gletscherwelt in einem Kleinflugzeug aus wenigen Hundert Metern Höhe zu betrachten. Gleich nach dem Start zieht die junge dänische Pilotin Sia den Flieger in einer Steilkurve nach rechts, und der riesige Gletscher, dessen Ende am Horizont nicht erkennbar ist, breitet sich vor uns aus.


Der Sermeq Kujalleq ist der produktivste Gletscher der nördlichen Halbkugel, rund 70 Millionen Tonnen Eis produziert er jährlich und schiebt sich an der Abbruchkante mit bis zu vierzig Metern pro Tag in den Eisfjord Kangia, der seit 2004 zum UNESCO Weltkulturerbe gehört. Wir schauen gebannt auf die zerfurchten Spalten der eisigen Oberfläche, in denen immer wieder Seen mit türkisblauem Schmelzwasser schimmern, in der Sonne changieren ihre Farben.



Grönland ist in vielerlei Hinsicht extrem, vor allem was die Temperaturen angeht. Es herrscht arktisches Klima, auch im Sommer steigen die Temperaturen kaum über zehn Grad, im Winter gehen sie bis auf minus fünfzig Grad herunter. Gefühlt so kalt ist es, als wir mit dem Speedboat durch den Fjord Richtung Eqip Gletscher rasen, bizarre Eisberge an uns vorbeiziehen und der Fahrtwind eisig ist.


Anlandung in Oqaatsut, an einer kleinen Siedlung mit wenigen Häusern und nur knapp 40 Bewohnern. Früher hieß der Ort Rodebay, rote Bucht, sie war eine Siedlung für holländische Walfänger, das Wasser nach dem Abschlachten oft rot gefärbt. Noch heute leben die Bewohner von ein wenig Tourismus, Fischerei und dem Walfang. Oqaatsut ist ein Ausgangsort für Wanderungen in die Umgebung, auch Skipper aus aller Welt, die mit ihren Yachten die grönländische Küste entlangsegeln, legen hier gerne einen Stopover an. Denn das kleine Häuschen gleich links an der Pier ist ein kleines Gasthaus. Ein Inuit-Pärchen serviert hier an wenigen Tischen Spezialitäten der grönländischen Küste: luftgetrockneter Dorsch mit öligem Seehundfett, Heilbutt und Arctic Char, einem lachsähnlichen Fisch. Schmackhaft, aber auch gewöhnungsbedürftig. Man bekommt eine Ahnung von der traditionellen Küche der Inuit, die vor allem aus Fleisch und Fisch besteht, roh, gekocht aber auch verrottet gegessen wird.



Wir besteigen erneut eine Turboprop von Air Greenland für einen Flug in die Hauptstadt, nach Nuuk. Fliegen in Grönland ist für die meisten Grönländer die einfachste und oftmals die einzige Möglichkeit, andere Ortschaften zu erreichen. Ein Straßennetz gibt es nur in den Städten und Siedlungen. Neben Schiff, Boot und im Winter Motor- oder Hundeschlitten ist das Flugzeug daher in Grönland ein bisschen wie Busfahren: Einsteigen, fliegen, aussteigen, ohne Passkontrolle, ohne Sicherheitscheck.


Nach europäischen Maßstäben ist Nuuk mit rund 17.000 Einwohnern eine kleine Stadt, vor allem als Hauptstadt. Aber sie ist die größte Siedlung auf Grönland, das wirtschaftliche, kulturelle und politische Zentrum. Von den nüchternen Großsiedlungen direkt am Fjord fällt der Blick auf das ehemalige koloniale Viertel mit bunten Holzhäusern und der Erlöserkirche am alten Hafen. Hier begann im 18. Jahrhundert die dänische Kolonisierung Grönlands.



Skipper Anders erwartet uns am frühen Morgen. Er legt den Hebel seines Watertaxis nach vorne, und mit schnellen 25 Knoten fahren wir zum Godthabs Fjord Richtung Gletscher. Der frühe Nebel hängt noch über dem Wasser, der Fahrtwind ist wieder eisig, ich ziehe mir den Schal weit ins Gesicht. Anders, aus Kopenhagen, lebt seit zehn Jahren auf Grönland, bietet Touren in die Eiswelten an. „Ich kann mich selbst daran kaum satt sehen, dieses Formen- und Farbenspiel ist stets eine neue Entdeckung“, schwärmt er.


Siebzehn Walarten gibt es vor den Küsten Grönlands, darunter Beluga, Narwale, Schweinswale und auch Pottwale. Die Quotierung ist streng, die Population daher hoch, die Chancen also, welche zu sehen, auch. Doch heute bleiben sie verborgen, auch wenn Anders immer wieder Ausschau hält. Nach einer guten Stunde erreichen wir fast das Ende des Fjords, der Gletscher ist in Sichtweite. Anders stoppt den Motor, macht ihn aus, inmitten von Eisschollen und bizarren Formationen großer und kleiner Eisberge treibt das Boot. Das Eis knirscht.



Fridtjof Nansen, der norwegische Polarforscher, der 1888 als Pionier Grönland auf dem Inlandeis durchquerte, hat diese Stimmung wohl auch erlebt. Er schreibt: „Die Natur, stark und wild, ist wie eine alte, in Schnee und Eis gemeißelte Sage, die manchmal in so feiner Stimmung ist wie ein Gedicht.“



© Text & Fotos Lutz Jäkel, 2018. Erschienen als Reisereportage im Magazin Travellers World.

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