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  • AutorenbildLutz Jäkel

Integration? Der Türke spricht doch deutsch.

Kolumne


Integration, Migration, oft auch im Kontext Parallelgesellschaft und Abschottung, das sind Dauerthemen in Gesellschaftsdebatten. Zurecht, wie ich finde. Gerade beim Thema Parallelgesellschaft und Abschottung fällt mir die Zeit aus meiner Kindheit in Istanbul ein, die auch verdeutlicht, wie einseitig heute noch diese Diskussion geführt wird.

Mein Vater war für eine große deutsche Firma von 1975 bis 1980 in Istanbul tätig. Der Freundeskreis meiner Eltern? War vor allem deutsch, sie kamen alle von den Firmen Bayer, Höchst, Siemens, Lufthansa. Die Freunde oder Arbeitskollegen trafen sich regelmäßig, gingen am Strand in Gümüşdere oder im Belgrader Wald zusammen grillen, am Wochenende traf man sich gerne zu Partys, machte Bootsausflüge zu den Adalar, den Prinzeninseln, oder in die schönen Buchten der Ägais. Man war unter sich, wie es oft der Fall ist unter Expatriats im Ausland.


Türkische Kollegen, türkische Freunde? Ja, gab es. Hier und da. Ich erinnere mich noch an genau zwei Namen: Metin und Erol. Die beiden sprachen perfekt Deutsch. Und das "musste" auch so sein, denn weder meine Eltern noch ihre Freunde konnten ausreichend Türkisch. Eine deutsche Freundin, die schon sehr lange in Istanbul lebte und zwei Mal mit einem Türken verheiratet war, konnte es sehr gut. Sie war die Ausnahme im Freundeskreis. Die anderen sprachen eher so ein Halligalli-Türkisch, eine Art Bakkal-Türkisch, wie ich gerne sage. Bakkal ist eine Art Krämerladen, man konnte also so gut türkisch, dass man ohne großen sprachlichen Unfall einkaufen konnte.


"Bir tane ekmek lütfen", war damals so ein geflügelter Ausdruck, "Ein Brot, bitte". Und weil "lütfen" (bitte) so ähnlich wie "lüften" klingt, war das immer ein netter Gag. Mehr aber war da in aller Regel an türkischer Sprache nicht.

Ich war in Istanbul auf einer deutschen Schule, sie nannte sich "Botschaftsschule Ankara, Zweigstelle Istanbul" (für Insider: Die Schule neben dem Alman Lisesi in Beyoğlu). Wir hatten ein Mal in der Woche für eine Stunde Türkisch. Ein Mal in der Woche, eine Stunde. Den Rest habe ich auf der Straße beim Spielen mit türkischen Kindern gelernt. So war mein Türkisch dann auch, richtiges Straßentürkisch. Mein Türkisch ist heute leider nicht mehr besonders (was ich sehr bedauere), aber wenn ich mal etwas sage, dann amüsiert das Türken häufig, weil sie sagen: Das klingt echt türkisch-türkisch, nicht deutsch-türkisch mit diesem typischen Akzent. Na ja, wenn man's als Kind auf der Straße lernt, hat man diesen Klang wohl für immer drin. Das Zungenschnalzen für "Nein" habe ich als Kind noch lange verwendet.

Meine Eltern hatten mal einen Versuch gestartet, nahmen sich einen Privatlehrer, aber letztendlich war ihnen die Sprache zu schwer. Immerhin, wenn meine Mutter, heute 78 Jahre alt, meinen Vater bittet, den Müll runterzubringen, sagt sie noch heute: "Bringst du bitte mal den çöp runter?"


Nun könnte man sagen: Na ja, ihr ward ja nur fünf Jahre dort. Das ist richtig, und in aller Regel waren die Kollegen meines Vaters eben bei Firmen beschäftigt, bei denen ein Wechsel in andere Länder alle paar Jahre häufig war. Dennoch: Bei uns war es nicht absehbar, dass es nur fünf Jahre werden sollten, wir sind damals wegen der politisch unruhigen Lage während des Militärputsches 1980 zurück nach Deutschland gegangen. Es hätte also sehr viel länger werden können.


Es war ja auch so: Niemand im Freundeskreis , ich habe noch mal meine Eltern gefragt, hatte großes Interesse, die Sprache zu lernen. Da waren genug Leute, die ziemlich lange in der Türkei lebten, Zeit genug war also. Wie gesagt: Die türkischen Freunde konnten alle sehr gut Deutsch, Metin war auch mit einer Deutschen verheiratet.


Anders gesagt: Die Deutschen in der Türkei haben sich abgeschottet, lebten in einer Parallelgesellschaft. Integration? Keine Spur. Warum auch, das Leben war auch so schön. War das ein Problem für die türkischen Nachbarn? Nein, offenbar nicht. "So sind sie halt die Almans!", wird der eine oder andere gedacht haben.


Und wir sind im Deutschland des Jahres 2020 noch immer so weit, dass wir nicht nur über Parallelgesellschaften sprechen (dass es in Teilen auch problematische Bereiche gibt, ist dabei unbenommen), sondern dass sogar Deutschtürken, die perfekt Deutsch sprechen, bestens integriert sind und auch in den seltensten Fällen in Parallelgesellschaften leben (wobei wir mal definieren müssten, was genau eine Parallelgesellschaft ist und ab wann die beginnt) sich für ihr Deutschsein bewähren oder ihr Gefühl für zwei Heimaten rechtfertigen müssen.


Manchmal wünschte ich mir, ich könnte mich in einer Zeitmaschine in das Jahr 1978 zurückbeamen und mit dem Wissen von heute meinen Eltern und deren Freunden von damals Fragen stellen. Sie würden mich wohl mit großen Augen angucken und fragen: "Was will der kleine Lutz nur von uns?"

Das ist kein Plädoyer gegen Integration. Ganz im Gegenteil. Es soll aber aufzeigen, dass das Problem einer mangelnden Integration ein weltweites Phänomen sein kann und nicht kulturspezifisch ist.

(das da rechts auf dem Foto bin übrigens nicht ich, das ist mein Vater... Ich bin links der Knabe, der rotzlöffelfrechmäßig mit Schnute in die Kamera guckt) #Integration #migration #parallelgesellschaft #türkei #deutschtürken



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