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  • AutorenbildMarkus Mauthe

Südsudan - Leben ohne echten Frieden II

Reportage


Eine Reise in die Boma Berge, zu den Ethnien der Jiye & Kachipo

Die Boma Berge würde man bei uns als kleines Mittelgebirge bezeichnen. Sie erheben sich aus einer ansonsten brettflachen Savanne und können mit normaler Fitness locker an einem Wandertag bestiegen werden. Wir alle freuten uns auf diese Exkursion ins Unbekannte und keiner hätte sich vom Aufstieg abbringen lassen. Als wir noch in der Dunkelheit unsere Zelte abbrachen, spürte ich zum ersten Mal ein leichtes Rumoren im Bauch, aber ignorierte es geflissentlich. Meine Frau Juliana hatte sich den Trägern angeschlossen, die zu den Suri über einen leicht längeren, aber dafür weniger steilen Aufstieg kommen wollten. Joan, der Ethnologe, Simon und Fabian, die beiden Flmer, und ich wurden von einem lokalen Guide über einen steileren und damit fotogeneren Weg in die Höhe geführt. Aus Sicherheitsgründen begleiteten uns zwei Soldaten. Der Aufstieg begann im Schein der frühen Morgensonne. Alle waren hochmotiviert, die Temperaturen angenehm und die Wasserflaschen gefüllt. Beim Blick zurück sahen wir die Dörfer der Jiye, deren Hütten mit einem runden Wall aus Geäst eingefasst waren. Damit wurden die Ziegen im Gelände gehalten und es schützte sie zugleich vor Raubtieren. Je höher wir kamen, desto schöner wurden die Ausblicke über ein endlos erscheinendes Land.


Doch es kam, wie es hätte nicht kommen dürfen. Aus dem Rumoren im Bauch wurde sehr schnell ein stattlicher Durchfall. Dazu stiegen die Temperaturen rasant an, und das Trinkwasser ging schnell zur Neige. Nach zwei Wanderstunden musste ich mein Ego vergessen und den Fotorucksack einem der Soldaten zum Tragen geben. Der hatte das gerne getan, denn der ausgehandelte Betrag für diese Dienstleistung besserte seinen Sold erheblich auf. Meine Begleiter hatte es auch erwischt, nach einiger Zeit stellten sie die Flüge mit der Drohne ein, und auch die Kameras blieben im Rucksack.


Das Schlimme war, dass es am Berg, anders als uns gesagt wurde, keinen Zugang zu Wasser gab. Nach vier Stunden lag ich völlig erschöpft auf dem Boden und wollte nur noch sterben. Ich fühlte mich hundeelend. Ich hätte bei all meiner Reiseerfahrung nie gedacht, dass ich so leichtsinnig in solch eine gefährliche Situation reinschlittern könnte. Ich war total überrascht, wie schnell mein Körper völlig ausgelaugt war und ich keinerlei Kraft mehr spürte. Wassermangel, Hitze und Diarrhö sind eine teuflische Mischung. Irgendwann war ich praktisch allein am Berg, weil sich jeder auf seine Weise vorwärts kämpfte. Das war richtig dämlich. Aber als ich es bemerkte, war es schon zu spät, um die anderen zu bitten, oder vielmehr anzuflehen, zusammenzubleiben.

Zum Glück konnte ich mich irgendwann in eine bewaldete Vegetation schleppen, deren hitzemindernde Schatten Linderung brachte. Dort lag ich einige Zeit, bis mir plötzlich jemand eine Banane und einen Kanister Wasser reichte. Meine Retter waren zwei Kachipo, die tatsächlich von oben kamen, um uns aufzusammeln. In diesem Moment war auch Simon wieder da und hatte diesen Augenblick mit seiner letzten Kraft gefilmt. Fast hätten wir in diesem Moment über die unglaubliche Situation gelacht, in die wir uns gebracht hatten, aber lustig war das ganze wirklich nicht. Ich habe mich in diesem Moment aufgrund meiner Magenkrämpfe nicht getraut, das mir gereichte Wasser zu trinken, sondern habe es nur über meinen Kopf geschüttet. Ob das die richtige Entscheidung war, ist schwer zu sagen.


Der Aufstieg war bei weitem noch nicht geschafft, nur weil ich wieder Menschen an meiner Seite hatte. Sie stützten mich zwar immer wieder, wirklich tragen konnten sie mich aber nicht. Der Pfad war viel zu steil und uneben. So dauerte es noch Stunden, bis ich ganz oben am Hochplateau wieder mit Juliana und den anderen vereint war. Lange Stunden, die mich lehrten, was es heißt, seine eigenen Grenzen zu verschieben. Letztlich ist es eine Willenssache, ob man aufgibt oder weiter macht. Ich befand mich an diesem Tag nicht in Lebensgefahr, weil wir nie wirklich weit von anderen Menschen entfernt waren. Aber diese Stunden am Berg haben mich spüren lassen, wie schnell es passieren kann, dass man durch eine falsche Entscheidung von einem Wildnistrip nicht mehr nach Hause zurückkehrt.



Dass ich oben auf der Hochebene, im letzten Drittel des Weges, durch einen tropischen Regenwald lief, in dem Jahrhunderte alte Bäume standen, nahm ich trotz der Kraftlosigkeit hocherfreut zur Kenntnis. Später habe ich mich gefragt, was die Suri hier auf dem Berg wohl von uns gedacht haben mögen? Da kamen zum ersten Mal eine Gruppe weißer Menschen zu Besuch, und die Hälfte von ihnen kommt halbtot bei ihnen an. Mich hatte es eindeutig am stärksten erwischt. Während ich die darauf folgenden zwei Tage fast regungslos im Zelt verbrachte, konnten Simon und Fabian schon am nächsten Tag wieder zur Kamera greifen und für unseren Kinofilm „An den Rändern der Welt“ Interviews mit den Leuten machen. Auch Joan war recht schnell wieder stabil. Einzig Juliana blieb auf wundersame Weise von irgendwelchen Problemen mit dem Magen verschont.

Die Kachipo hatten hier in der Abgeschiedenheit zwar einen recht sicheren Lebensraum gefunden, aber die Versorgung mit Wasser stellte auch hier ein Problem dar. Dies veranlasste einen Teil der Begleitgruppe zum verfrühten Abstieg, noch bevor ich überhaupt in der Lage war, etwas konkretes wahrzunehmen. Natürlich ziehen die Bäume Feuchtigkeit an, und Wolken bleiben an den Bergen hängen, doch um genügend Anbaufläche für ihre Maisfelder und Weidegras für die Rinder zu bekommen, wurden in den Jahren ihres Aufenthaltes schon ein beträchtlicher Teil der Bäume gefällt. Die einzige Wasserquelle jedoch war ein Loch im Boden, an dem sich sowohl Menschen als auch Tiere versorgten. In unserer ersten Nacht auf dem Berg hatte es geregnet. Das war durchaus positiv, zumal es die Temperaturen drückte.

Doch das Regenwasser lief über das Erdreich in die Quelle. Ein Vorgang, der aus frischem Wasser einen Cocktail machte, der wie Schokoladenmilch aussah. Da blubberte eine braune Brühe aus der Erde, die zivilisationsverwöhnte Besucher kaum trinken konnten. Es war völlig verrückt. Während mein Körper sich nichts sehnlicher wünschte, als Flüssigkeit zu sich zu nehmen, war der Würgereiz so extrem, dass ich es kaum schaffte, ein paar Schlucke davon runter zu bekommen. Für die Kachipo war das wenig vorhandene Wasser ihre ganz normale Realität.


Ich besuchte Menschen, die in einem vermeintlichen Naturparadies lebten und spürte hier zum ersten Mal in meinem Leben, was Mangel wirklich bedeutet. Wenn jeder Schluck zur Existenzfrage wird, dann ist es aus dieser Perspektive geradezu aberwitzig, dass wir in anderen Erdteilen auf der Toilette damit unsere Exkremente wegspülen. Das ist wieder ein Beispiel, warum ich das Reisen als so wertvoll empfinde. Es bringt uns immer wieder dazu, die Perspektive zu wechseln und Zeuge von Lebensrealitäten zu sein, die wir uns kaum vorstellen können. Das ist immens lehrreich, und ich möchte keine Erfahrung missen.


Als ich dort oben halbtot im Zelt lag und versuchte, die sengende Hitze so gut es ging zu ignorieren, beschloss ich, auf keinen Fall den Rückzug anzutreten, bevor wir der Gastfreundschaft der Leute würdevoll begegnet waren. Auch nicht bevor ich die Atmosphäre auf dem Berg habe einfangen können. Am dritten Tag hatte ich wieder soviel Kraft, dass ich die Kamera halten und mich im Dorf bewegen konnte. Das war für die Kachipo der Zeitpunkt, uns auch offiziell willkommen zu heißen. Zum dritten Mal innerhalb kurzer Zeit erlebten wir die Kraft afrikanischen Tanzes. Das Begrüßungszeremoniell war wieder sehr ausdrucksstark. Im Unterschied zu den Nachbarn unten am Berg waren es hier die Männer, die den Schwerpunkt der Feierlichkeiten boten.



Fast alle waren in blaue Gewänder gehüllt und schwangen Stöcke. Ihr Gesang, die Bewegungen, das rhythmische Klatschen und der in den Tanz integrierte Stockkampf entfachten eine faszinierende Stimmung. Auch wenn alles spielerisch ablief, die Augenblicke, wenn die Stöcke aufeinander prallten, zeugten durchaus von einer gewissen Schärfe. Dazu wurden wir vom Chef des Dorfes mit einer Rede und intensivem Handschlag begrüßt. Emotional war für mich auch der Moment, in dem mir zwei Heilerinnen ihre Hände auf Kopf und Schultern legten.

Wir erfuhren vom Anführer der Kachipo, dass sie ihr Dorf Zoch benannt haben. Wenn es ein Problem in der Gemeinschaft gebe, sei es seine Aufgabe es zu lösen. Jeder bekomme hier oben ausreichend zu essen, was einer der Gründe war, diese Hochebene als Lebensraum für seine Leute auszuwählen. Was dem Dorf fehle, sei Bildung und Gesundheitsvorsorge. Ihr Glaube habe sich seit der Zeit, in der sie noch die Felle der Tiere trugen, nicht verändert. Sie beten zum großen Wald, den Bergen und Flüssen. Der Wald versorge sie mit Früchten und wildem Honig. Außerdem biete er Schutz. Wenn sie angegriffen werden, könnten sie sich zwischen den Bäumen verstecken. Was er dann sagte, hatte mich erleichtert, denn ihm war ein wichtiges Problem sehr wohl bewusst. Er sprach davon, dass er den Wald aufgeteilt habe. Ein Teil für die Natur und ein Teil für die Landwirtschaft. So verbot er den Leuten, weitere Bäume zu fällen. Er war sich sehr wohl bewusst, dass die Bäume Wolken bilden, die Regen bringen, was letztlich Wasser und Nahrung bedeutet.


Wenn es der Gemeinschaft gelingt, diesen Ratschlag zu folgen, hat sie dort oben auf dem Berg eine Chance, langfristig zu überleben. Im Prinzip war das Dorf Zoch eine Blaupause der gesamten weiten Welt. Der geneigte Besucher konnte hier in diesem Mikrokosmos auf dem Berg lernen, was im Großen passieren muss, damit die Menschheit eine Zukunft hat. Wir überleben als Spezies langfristig nur innerhalb intakter, ökologischer Kreisläufe. Diese sind heute schon an viel zu vielen Orten massiv beschädigt und benötigen dringende Reparatur.


Trotz der wunderbaren Blicke über die Steilwände des Hochplateaus und der magisch anmutenden Riesenbäume, leben die Kachipo hier unter Bedingungen, die uns unvorstellbar erscheinen. Das einzige, was es im Überfluss zu geben scheint, sind die allgegenwärtigen Schusswaffen. Wahrer Frieden und ein gewisses Maß an Wohlstand sind hier bis heute Utopie. Der Kampf ums Überleben ist ganz normaler Alltag. Starke soziale Bindungen und intakte kulturelle Strukturen helfen ihnen, als Gemeinschaft zu bestehen. Mir wurde bewusst: Wir sind den Berg als andere runter gelaufen, als wir uns hochgequält hatten. Dieser Trip war eine große Lektion Empathie-Kunde für uns.


Auch in anderen Regionen im Südsudan bekam ich immer wieder zu spüren, dass es oft die Ärmsten der Armen sind, die ihre Herzen nicht verschließen. Nie wurden wir im Land in unserer Rolle als Besucher ausgenutzt oder übervorteilt. Zumindest nicht in den Dörfern der Ethnien. Trotz des eklatanten Mangels haben die Menschen ihre Würde bewahrt. Ob wir in umgekehrter Realität genauso kraftvoll reagieren?


Joan und ich haben uns bis heute nicht aus den Augen verloren. Schon allein deshalb, weil ich neugierig war, ob es ihm wie versprochen wirklich gelingen würde, in einem Land wie dem Südsudan aktiv an der Rettung des Waldes und der Verbesserung des Lebensstandards der Kachipo mitzuhelfen. Noch während unseres Aufenthaltes hatte er begonnen, über diese Thematik mit den Menschen in Zoch und den Offiziellen in Boma Gespräche zu führen. Zwei Jahre später berichtete er mir, dass die Bundesbehörden zusammen mit den lokalen Politikern vor Ort einen Managementplan erarbeiten, um das Waldökosystem bis hin zur äthiopischen Grenze offiziell zu schützen. Er selbst versucht in seiner Rolle als Reiseveranstalter die eine oder andere Besuchergruppe in die abgelegene Region zu bringen. Diese sind mit Medikamenten und finanzieller Hilfe ausgestattet, die den Menschen von Zoch zugutekommen. Inzwischen sei nicht nur die weitere Entwaldung gestoppt, es wurden sogar neue Bäume von den Dorfbewohnern gepflanzt, um die Trinkwassersituation zu verbessern. In zwei weiteren Regionen im Zentrum des Landes ist er dabei, genau die gleichen Strukturen aufzubauen. Touristen bekommen von ihm den Traum vom authentischen Afrika erfüllt und helfen gleichzeitig dabei es zu erhalten.


Ich habe keinen Zweifel, dass der Ethnologe und gewiefte Stratege Joan das kann. Er hat es mit unserer Expedition, die Ausgangspunkt all dessen war, hinreichend bewiesen. © Text & Fotos Markus Mauthe

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