Lutz Jäkel
Skurrile, gefährliche Querfront
Wenn es um Querdenker geht, ist man schnell dabei, von Rechten zu sprechen. Und es stimmt ja auch, viele Rechte und sogar Rechtsextremisten bewegen sich unter den Demonstrierenden oder stehen auf den Bühnen und versprühen ihr demokratiefeindliches und hasserfülltes Gift gegen die "Merkel-Diktatur" und die "Volksverräter in der Regierung".
Allerdings sollte man mit den Begrifflichkeiten etwas vorsichtig sein, schnell nutzen sie sich sonst ab und werden nur noch als Kampfbegriffe verstanden; da sind die einen die "Systemlinge" und die anderen die "Nazis". Gerade mit dem Begriff Nazi tue ich mich oft schwer. Man sollte vielleicht in Erinnerung rufen, dass Nazi eine Abkürzung für Nationalsozialist ist. Und diese Bezeichnung sollte man nicht leichtfertig oder unbedacht einsetzen. Wenn jemand von den Querdenkern ein Corona-Verharmloser oder Corona-Leugner ist, dann ist er ein Spinner, ein Schwurbler. Wenn er an die "New World Order", an "The Great Reset" glaubt, gar an kinderbluttrinkende Eliten, dann ist er zudem ein Verschwörungsgläubiger. Und wenn er von Diktatur spricht und davon, dass die "Volksverräter" alle abgesetzt und eingekerkert gehören, dann ist er ein Antidemokrat, ein rechter Spinner. Aber ist er außerdem ein Antisemit, ein Rassist, ein Anhänger einer völkische Bewegung, also ein Nazi? Das kommt darauf an, was er noch so von sich gibt. Wenn er glaubt, dass ein George Soros und die Rothschilds die internationale Finanzelite kontrollieren, um uns über die Pharmalobby in die Sklaverei zu führen, dann ist er ein Antisemit, mindestens.
Ein Ex-AfDler Andreas Kalbitz (Foto links) und der Hallenser Rechtsextremist Sven Liebich (Mitte) sind sowieso knallharte Neonazis, auch der Ex-AfDler Heinrich Fiechtner (Foto rechts), der gerne auf Demos bei seinen Hassreden einen Hitlergruß andeutet und einen Mundschutz trägt, der an die Hakenkreuzbinde erinnert.
Aber alle Querdenker als Nazis zu beschimpfen, ist schwierig. Das sind sie nicht immer. Sie sind nicht mal unbedingt rechts. Es ist ja schon lange zu beobachten, dass sich gerade auf Querdenker-Demos bzw. in der Szene selbst eine sehr unschöne und in Teilen wirklich gefährliche Querfront gebildet hat. Es hat Gründe, warum der Verfassungsschutz bei der Einstufung zum Beobachtungsfall für die Querdenker eine neue Kategorie definieren musste: "Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates" heißt das in diesem Fall. Der Verfassungsschutz kommt bei seiner Bewertung daher zu dem Schluss, dass die Protestbewegung nicht in den Phänomenbereich Rechtsextremismus passt. Sie beobachtet in der Szene ganz allgemein:
"...dass ihre Verhaltensweisen darauf gerichtet sind, wesentliche Verfassungsgrundsätze außer Geltung zu setzen oder die Funktionsfähigkeit des Staates oder seiner Einrichtungen erheblich zu beeinträchtigen (...) Demokratische Entscheidungsprozesse und die entsprechenden Institutionen von Legislative, Exekutive und Judikative werden in sicherheitsgefährdender Art und Weise delegitimiert und verächtlich gemacht."
Und diese "sicherheitsgefährdende Delegitimierung des Staates" kommt eben nicht nur von rechts, sondern auch von links. Dass diese diffuse Querfront ganz besondere Blüten treibt, war am 01. Mai 2021 auf der eher kleinen Querdenker-Demo in Berlin Lichtenberg zu beobachten.
Da waren neben den üblichen Schwurblern wie dem durchgeknallten "Captain Future" von der "Freedom Parade" auch viele der sogenannten "Freien Linken" dabei. Sie demonstrierten unter dem Motto "Nein zum Kapital. Widerstand global". Man kann darüber streiten, ob das wirklich Linke sind. Entscheidend ist aber vielmehr, dass sie sich selbst so sehen und vor allem linke Parolen nutzen und brüllen. Zwischen all den Querdenker-Parolen. Und selbst von der "angeblichen Corona-Gefahr" und einer drohenden Diktatur schwadronieren.
Da schwenkt ein Demonstrant eine rote Flagge mit einem Porträt von Che Guevara, da tanzt ein anderer zu coolem Beat, der aus den Lautsprechern wummert, mit einer Rote-Stern-Mütze und ruft "Hasta la victoria siempre"; neben ihm liegt auf dem Boden ein Transparent mit den Parolen "Weg mit den Notstandsgesetzen und Ausgangssperren. Weg mit der Regierung". Zwischen den Demonstrierenden und den roten Fahnen der "Freien Linken" wird ein großes gelbes Transparent getragen mit der Aufschrift: "Wer in der Coronakrise schläft, wird in der Diktatur aufwachen."
Auf dem Demo-Wagen steht in großen fetten Lettern: "Hier keine Bühne für AfD, Pegida und Nazis..." Ein älterer Herr hält einem Polizisten einen Zettel entgegen, darin beklagt er unter anderem: "Schade um unser Grundgesetz", und: "In großer Trauer tragen wir das Grundgesetz und Rechtsstaatlichkeit zu Grabe." Auch er hält eine rote Fahne in der Hand, genau wie "Captain Future", auf dessen Pseudo-Mundschutz prangt: "Nötigung".
Dazwischen immer wieder ein Mann, der regelmäßig bei den Querdenker-Demos dabei ist und ein riesiges Kreuz mit sich trägt. Darauf ein gelber Sticker von "Demokratischer Widerstand", einer Gruppierung um den Berliner Theatermann Anselm Lenz, die zu den größten Coronaleugnern und Diktaturschwätzern gehört. Der Mann mit dem Kreuz und der selbst gedrehten Zigarette ruft zu einer Gruppe von Gegendemonstranten: "Es gibt kein rechts und links, es gibt nur ein Oben. Und Gott wählt nicht die AfD." Später wird er an seinem Kreuz einen medizinischen Mundschutz verbrennen.
Eine Frau sagt zu meiner Kollegin Sophia Maier von Stern TV: "Früher war ich bei den LINKEN. Aber die sind mir nicht mehr links genug, deswegen bin ich jetzt bei den "Freien Linken"." Eine andere Dame jammert in Sophias Mikrofon: "Ich fühle mich total ausgegrenzt, wie eine Jüdin früher."
Ein anderer älterer Mann keift mit verkniffenem Gesicht zu den Gegendemonstranten:
"Wie kann man nur so geschichtsvergessen sein? Ihr wisst wohl nicht mehr, wer Mengele war, oder? Mengele hat die Juden totgespritzt! Und jetzt kommt die Impfung! Merkt ihr gar nix mehr?? Ihr seid so dumm!"
Dann ist da noch der Demonstrant mit einen rotem Schild, darauf der Hashtag "#allesdichtmachen". Ein junger Mann, der einen Strumpf-Mundschutz trägt, hält ein Pappschild in der Hand: "Refugees welcome." Immer wieder wehen die großen roten Fahnen. Auf dem Demo-Wagen hält einer der Organisatoren eine Rede, prangert den globalen Kapitalismus an, der uns alle versklaven will. Die Maske sei das Symbol dieser Unterdrückung! Und deren Werkzeug für die Versklavung: Das Corona-Virus.
Dann laufen sie gemeinsam durch die Straßen von Berlin Lichtenberg, einige halten eine weiße Rose in der Hand und rufen immer wieder: "Alerta, alerta, Antifascista!", und: "Alle! Zusammen! Ge-gen den Fa-schis-mus! Alle! Zusammen!..." Die gleichen Parolen waren abends in Neukölln zu hören.
Das bemerkenswerte an diesem skurrilen Sammelsurium ist: Sie glauben das wirklich, was sie da sagen. Dass sie damit eine gefährliche Querfront bilden, ist ihnen egal. Oder nicht bewusst. Oder sie wissen es einfach nicht. Das ist ja ohnehin etwas, dass man nie vergessen sollte bei der Einordnung dieser Szene: Dass diese geschichtsrevisionistischen Corona-Verharmloser, egal ob rechts oder links, vielleicht ein bisschen zu dumm sind, ihr widersprüchliches und gefährliches Verhalten zu begreifen.
Hier eine sehr sehenswerte Reportage von Sophia Maier über diese Demo und auch über die Ausschreitungen des 1. Mai abends in Berlin Neukölln.
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