Jeannette Hagen
Unsere Fucking Zukunft – ein Gespräch mit Tristan Horx
Zu warm, zu sauer, stetiger Anstieg – so lautet das Fazit über den Zustand unserer Meere des fünften Ocean State Reports. Und es ist nur eine von vielen Katastrophenmeldungen, die uns jeden Tag wach rütteln müssten. Es gibt nichts zu beschönigen: nichts eskaliert dramatischer als die Klimakrise. Auch wenn Corona nach wie vor alles andere verdrängt, bleibt es Tatsache, dass wir noch rund zehn Jahre haben, um das Ruder herumzureißen. Manches wird trotzdem nicht mehr zu retten sein und als ob das nicht schon schlimm genug wäre, klimaprokrastinieren Teile der Weltgemeinschaft weiter vor sich hin, als ob das alles halb so schlimm wäre, während andere auf die Straße gehen. Generationen beschuldigen sich gegenseitig, alle sind frustriert und das Haus brennt einfach weiter.
Dieser Thematik hat sich der Generations- und Trendforscher Tristan Horx angenommen. Auch ihn hat der Frust über die vorherrschende Lethargie angetrieben, aber nicht, um sie zu beklagen, sondern um einen Weg aus der Starre zu finden. Herausgekommen ist das gleichsam unterhaltsame wie lehrreiche Buch „Unsere Fucking Zukunft“.
Ich frage ihn, was es mit ihm macht, dass wir statt zu löschen, streitend mit vollen Wassereimern und zugedrehten Schläuchen vor der Feuerbrunst stehen. Dass der Mensch, der so viel weiß, so viel kann, der Mensch, der sich selbst für die intelligenteste Spezies auf diesem Planeten hält, sich lieber sein eigenes Grab schaufelt, statt endlich „Wasser marsch“ zu rufen. „Ja, die Zeit wird knapp, wir können es uns einfach nicht mehr leisten, stillzuhalten. Natürlich ärgert mich das, aber ich bin auch optimistisch, denn es gibt ja Lösungen.“ Die liegen für ihn weniger im privaten Verzicht auf Fleisch, Flugreisen oder Palmöl, sondern gründen unter anderem auf dem gesamtgesellschaftlichen Willen und dem entsprechenden Druck, die Lage endlich ernst zu nehmen. Radikal ernst, radikal ehrlich.
Für ihn bringt Dystopie nichts. Horx selbst gehört zur Generation der Millennials – auch Generation Y genannt. Eine Generation, die den Boomern nähersteht, als der Generation Z, die, wie er schreibt: „mit dem Smartphone in der Hand aufgewachsen sind“. In seinem Buch gibt er einen Überblick über die Verschiedenheiten und Gemeinsamkeiten der Generationen, beschreibt, wie jede sich abgrenzt, wie jede für sich selbst beansprucht, die Ultima Ratio zu kennen und darauf beharrt, dass nachfolgende oder vorangegangene Generationen immer entweder dümmer, verdorbener oder phlegmatischer sind, als die eigene.

Und genau darin liegt für ihn ein wichtiger Schlüssel. Denn um die Krise zu bewältigen, in der wir stecken, braucht es die Überwindung dieser Konflikte. „Ok, Boomer“ mag lustig sein, diskreditiert aber jene, die wesentliche Grundlagen dafür gelegt haben, dass wir heute frei wählen können und über die Technologien verfügen, die uns am Ende vielleicht sogar retten.
In diesem Sinne ist Horx ein Brückenbauer. „Mir ist es wichtig, nicht nur die Generationenkonflikte zu überwinden, sondern so etwas wie eine Generationssolidarität zu schaffen.“ „Enkelfitness“ nennt er das in seinem Buch. „Statt Wut und Abgrenzung zu kultivieren, müssen wir alle Friedensangebote machen und dann gemeinsam Druck aufbauen.“ Denn den braucht es. Horx plädiert für eine echte Rebellion, eine die der Politik und den Verantwortlichen Beine macht, die aber nur gelingen kann, wenn sich alle zusammenschließen. „Wir sind so unterschiedlich, dass wir sowieso nur gemeinsam unterschiedlich sein können. Und wir müssen den Fokus auf das richten, was funktioniert. Meckern führt nicht zu Lösungen.“ Horx geht es um Versöhnung und um Aufbruch. Er schlägt ein Rezept für eine demokratische, enkeltaugliche Demokratie vor und warnt gleichzeitig davor, dass aus einer Rebellion, wie wir sie von Fridays for Future kennen, schnell auch ein destruktiver Konflikt wird, der sich dann mit Mitteln entlädt, die die Krise eher verschlimmern als sie zu lösen.
Was er mit seinem Buch macht, nennt er selbst „ein wütendes Friedensangebot“ und ich empfehle sehr, es zu lesen. Auch wenn es zuweilen unbequem ist, den eigenen Verfehlungen in die Augen zu schauen, so hilft es doch, Schranken zu überwinden. Die Anstrengungen, die vor uns liegen, sind gigantisch. „Zumutungen“, wie Grünen-Chef Robert Habeck neulich sagte. Aber lohnt es sich nicht, alle Kräfte aufzubringen? Wenn schon nicht für uns selbst, dann doch wenigstens für unsere Kinder und Enkel? Es ist schließlich ihre „Fucking Zukunft“. Links Ocean State Report: https://marine.copernicus.eu/news/ocean-state-report-5-summary-now-available
Tristan Horx: https://www.tristan-horx.com
Buch: https://www.luebbe.de/quadriga/buecher/gesellschaft/unsere-fucking-zukunft/id_8697206