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  • AutorenbildNadine Pungs

§218 muss weg!

Vor genau 150 Jahren trat ein Paragraph in Kraft, der noch immer für Stigmatisierung und Diskriminierung sorgt. Schwangerschaftsabbrüche sind in Deutschland nach wie vor illegal.


Kurz nach der Gründung des Deutschen Reiches wurde am 15. Mai 1871 im Reichsstrafgesetzbuch der §218 eingeführt. Eine Schwangere, „welche ihre Frucht abtreibt oder im Leib tötet“, musste für bis zu fünf Jahre ins Zuchthaus.

Noch heute – 150 Jahre später – gelten Schwangerschaftsabbrüche nach §218 Strafgesetzbuch als Straftat. Sie sind illegal. Ein Recht auf Abtreibung existiert nicht. §218 StGB, Absatz 1 besagt: »Wer eine Schwangerschaft abbricht, wird mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit einer Geldstrafe bestraft.« Keine Ausnahme in diesem Paragraphen.

Erst in den 1970er-Jahren wurde §218a samt Fristenregelung erlassen. Laut Zusatzparagraph bleibt die Tat seitdem ungesühnt, wenn das Leben der Schwangeren in Gefahr ist, sie vergewaltigt wurde oder wenn sie in einer anerkannten Beratungsstelle darlegen kann, dass ein Austragen des Kindes eine ihr »zumutbare Opfergrenze« überschreitet. Die Beratung dient dabei weniger der Aufklärung über medizinische Methoden, sondern vielmehr »dem Schutz des ungeborenen Lebens«. Ihr Ziel soll sein, »die Frau zur Fortsetzung der Schwangerschaft zu ermutigen.« Nur wenn ein Beratungsschein ausgestellt und drei Tage Bedenkzeit eingehalten wurden, ist die Abtreibung straffrei. Erlaubt ist sie damit nicht. Sie bleibt rechtswidrig (für die Frau, nicht für den Erzeuger, selbst wenn er zum Abbruch gedrängt hat).


Es gibt in Deutschland kein einziges Gesetz, das exklusiv in den Körper von volljährigen Männern eingreift. Der Paragraph 218 aber ermöglicht bis heute theoretisch, dass eine Frau zum Austragen einer Schwangerschaft gezwungen werden kann. Gegen ihren Willen. Mein Bauch gehört mir? Nicht wirklich. Was passieren würde, sollte eine Bundesregierung nach rechts rutschen, lässt sich im Nachbarland Polen beobachten. Dort wurde letztes Jahr ein Abtreibungsverbot beschlossen. Verantwortlich dafür ist die nationalistisch-konservative Regierungspartei PiS. In Deutschland spricht sich die AfD dezidiert gegen Abtreibungen aus.

Eine Austragungspflicht darf es aber nicht geben. Eine Schwangerschaft zu erzwingen ist die größtmögliche Verletzung der körperlichen Selbstbestimmung. Niemand sollte jemals genötigt werden, neun Monate lang massive leibliche und seelische Veränderungen und eine schmerzhafte Geburt auszuhalten, nur um staatlichen oder gesellschaftlichen Erwartungen zu entsprechen.

Bezeichnend ist außerdem, den medizinischen Vorgang des Schwangerschaftsabbruchs im Strafgesetzbuch zu erfassen – und das auch noch im Abschnitt »Straftaten gegen das Leben«, worunter Mord und Totschlag fallen. Der Glaube, dass das Leben mit der Zeugung beginnt und ab dann bedingungslos geschützt werden müsse, beruht auf christlichen Vorstellungen. Weltanschauliche Neutralität? Fehlanzeige.


Hinzukommt, dass Ärzte und Ärztinnen laut §219a StGB auf ihren Webseiten nicht über die Methoden eines Schwangerschaftsabbruchs informieren dürfen, weil der Gesetzgeber das als »Werbung« deklariert. Dabei ist »reißerische Werbung« in der Medizin längst durch eine Reihe von bereits existierenden Vorschriften geregelt. Alles andere als sachliche Information ist nach der ärztlichen Berufsordnung unzulässig, sodass kein Arzt jemals auf die Idee kommen würde, zwei Abtreibungen für den Preis von einer anzupreisen. §219a StGB stellt allerdings schon die bloße Sachinformation unter Strafe. Fakten zum Eingriff sind verboten.

Um zu erfahren, ob ein Arzt medikamentöse Abbrüche oder Absaugungen anbietet, müssen Schwangere etliche Praxen abtelefonieren. Mit dieser international einzigartigen Regelung, die ursprünglich 1933 von den Nationalsozialisten eingeführt und seitdem kaum verändert wurde, erschwert die Bundesregierung nicht nur die Informationsbeschaffung, sie schürt zudem das Misstrauen und die Stigmatisierung von Ärztinnen und Ärzten. Sie schränkt sie in ihrer Berufsfreiheit ein. Und sie gefährdet die Versorgungssicherheit von ungewollt Schwangeren. Versorgungslücken gibt es bereits. Im Medizinstudium sind Abtreibungen kaum Thema, auch nicht im Rahmen der fachärztlichen Ausbildung in der Gynäkologie. Es fehlen theoretische und praktische Kenntnisse. Eine Berliner Hochschulgruppe organisiert deswegen Kurse, in denen Medizinstudenten freiwillig den Umgang mit der Absaugpumpe an Papaya-Früchten üben. Und immer weniger Ärzte und Ärztinnen nehmen aus Unsicherheit oder Angst vor Anfeindungen Abbrüche vor. Laut Berechnungen des Statistischen Bundesamt sind es deutschlandweit nur noch 1200 Arztpraxen und Kliniken. In manchen Regionen müssen Schwangere für eine Abtreibung hunderte Kilometer zurücklegen. All das kostet unnötig Zeit und Kraft. Insbesondere, da ein Abbruch in Deutschland nur bis zur zwölften Schwangerschaftswoche möglich ist. Doch anstatt die Versorgung zu gewährleisten, verengt sich der Möglichkeitsraum. So will die bayerische Landesregierung Schulen verpflichten, einen jährlichen Anti-Abtreibungstag abzuhalten. Und in Passau verbietet sogar ein Stadtratsbeschluss dem städtischen Klinikum, Abtreibungen vorzunehmen.

Die Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen führt dazu, dass schwangere Personen massivem Druck ausgesetzt sind. Aber so wenig der Mann zur Zeugung genötigt werden darf, so wenig darf die Frau zum Gebären genötigt werden, sagte schon die Ärztin Else Kienle, die in den 1920er-Jahren in Deutschland illegal Abtreibungen durchführte und deswegen zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde.


Deutschland hat keine liberale Regelung. Die Paragraphen 218 und 219a entmündigen Betroffene und verweigern ihnen eine souveräne Entscheidung. Deshalb muss der Schwangerschaftsabbruch endlich entkriminalisiert werden. Denn er ist eine Gesundheitsleistung, die für die Selbstbestimmung maßgeblich ist und im Strafgesetzbuch nichts verloren hat. Die Regelung verletzt die Würde der Frau. Und eine aufgeklärte Gesellschaft steht in der Pflicht, gegen diese Bevormundung entschieden aufzubegehren. 150 Jahre Kriminalisierung sind genug!

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