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  • AutorenbildLutz Jäkel

Eitel und populistisch: Jürgen Todenhöfer


Ich beobachte in letzter Zeit häufiger, dass Facebook-User, vor allem die mit Migrationsgeschichte und insbesondere die mit muslimischer Migrationsgeschichte, im Rahmen der anstehenden Bundestagswahlen sich fragen, ob Jürgen Todenhöfer und seine neue Partei "Team Todenhöfer" die Partei für Menschen wie sie ist, eine Alternative zu anderen, schon etablierten Parteien. Denn Todenhöfer verspricht in seinen Reden und Beiträgen häufig und gerne, sich insbesondere für Menschen mit Migrationsgeschichte und darüber hinaus allgemein für Menschenrechte einzusetzen.

Ich behaupte: Er gibt vor, sich dafür einzusetzen. Konsequent ist er nicht.

Über Todenhöfer habe ich mich schon häufiger geäußert, zuletzt, als er im vergangenen Jahr in Berlin die Gründung seiner Partei vorstellte, das hatte ich beobachtet, fotografiert und hier darüber einen Blogbeitrag geschrieben. Schon darin habe ich mich über Todenhöfers populistischen Plattitüden ausgelassen und auch darüber, dass er Verbindungen zum bekannten Querdenker Nana Domena hat, die er nicht näher erklärt, bis heute nicht.


Wenn man sich jetzt, so kurz vor der Bundestagswahl, mal ein umfassendes Bild von den vermeintlichen Zielen und Ideen Todenhöfers machen möchte, empfehle ich das aktuelle Interview, das der Journalist Tilo Jung im Rahmen seines Formats Jung & Naiv mit ihm führte. Ich habe mir tatsächlich die zweieinhalb Stunden gegeben, nicht ausschließlich, das hätte ich nicht ausgehalten. Ich habe nebenbei Fotos bearbeitet (ja, so viel Multitasking bekomme auch ich als Mann hin). Ich habe Todenhöfer live erlebt, einiges von ihm gehört und gelesen, ich war also vorbereitet. Aber dieses Interview toppt alles. Man kann die zweieinhalb Stunden mit wenigen Worten zusammenfassen, denn Todenhöfer ist in diesem Interview vor allem das:

Selbstverliebt, selbstgerecht, selbstbeweihräuchernd, bis in die Haarspitzen eitel, arrogant, überheblich. Und dann auch noch planlos.

Letzteres sieht er natürlich ganz anders. Planlosigkeit wirft er nämlich sämtlichen Politikern und Politikerinnen der Neuzeit vor ("die schlechteste Regierung seit 70 Jahren"), sie seien allesamt inkompetent, nur auf den eigenen Vorteil und die eigene Karriere bedacht. Es gibt eigentlich nur einen, der das besser kann, besser weiß, besser macht: ihn selbst. Was vor allem daran liegt, dass er, der Jürgen, die ganze Welt bereiste und mit allen wichtigen Mächtigen, also Präsidenten, Ministerpräsidentinnen, Politikern, großen Geistern dieses Kosmos, gesprochen und diskutiert hat. Hat ja sonst niemand gemacht, nur er. Findet Jürgen.

Diese Selbstherrlichkeit ist nicht wirklich neu, wenn man sich mit Todenhöfer schon länger beschäftigt. Aber es wird in diesem Interview stark verdichtet und wirft Fragen auf über die Glaubwürdigkeit seiner neuen Partei.

Und ausgerechnet Todenhöfer, der nicht nur Politiker, sondern auch ehemaliger Medienmanager ist, versteht nicht, was ein Interview auszeichnet. Nämlich kritisch geführt zu werden. Genau das macht Jung. Tilo stellt eine Reihe unbequemer Fragen, zum Teil sehr unbequemer Fragen. Das ist gut für ein kritisches Interview. Todenhöfer sieht das anders, bezeichnet diese Fragen häufiger als "frech", geht sogar soweit, dass er sich wie bei einem "Gestapo-Verhör" fühle. Das sagt er wirklich, mehrmals. Offenbar erwartet Todenhöfer, dass man ihm wohlwollend begegnet, ihm huldigt, ausgerechnet ihm, der gerne andere rhetorisch und argumentativ in die Enge treibt und ständig betont, Politik müsse wieder "ehrlich" werden, daher brauche es einen neuen "Politikertyp" - wie ihn natürlich, was er so direkt nicht sagt, aber mit jeder Silbe meint.


Über diese selbstverliebte Eitelkeit könnte man noch schmunzeln, wenn er denn wenigstens erklären könnte, wie er all seine Ziele erreichen möchte. Und er genau beschreiben könnte, was aus seiner Sicht falsch läuft in diesem Land. Das kann er aber nicht. Jedenfalls nicht konkret, nur schwammig, plattitüdenhaft, populistisch.

So behauptet Todenhöfer beispielsweise, die Integrationspolitik, vor allem die Merkels, sei grandios gescheitert. Nicht in Teilen, sondern insgesamt. Woran er das festmache, fragt ihn Tilo Jung. Nun, an Weihnachten zum Beispiel, erzählt der Jürgen, da gehe er schon seit Jahren zu Geflüchteten und feiere mit ihnen das Fest. Er kümmere sich also direkt, vor Ort, mit den Geflüchteten, den Menschen. Macht ja sonst keiner der anderen Politiker, nur er, der Barmherzige. An Weihnachten, man stelle sich vor!

Man muss das schon für einen Moment sacken lassen, um zu verstehen, dass das die Antwort auf die Frage nach der gescheiterten Integrationspolitik ist.

Schade, dass Tilo Jung Todenhöfer nicht fragt, warum er glaubt, das sei etwas ganz besonderes, mit Geflüchteten Weihnachten zu feiern, also mit Menschen, die mehrheitlich aus muslimisch geprägten Ländern kommen, wo Weihnachten religiös eher keine Rolle spielt. Aber das nur am Rande.

Ich finde es geradezu erschütternd, wie wenig Todenhöfer in der Lage ist, in zweieinhalb Stunden Redezeit konkret politische Ziele zu benennen und erklären zu können, wie diese umzusetzen wären, hätte "Team Todenhöfer" im Bundestag mitzureden nach der nächsten Bundestagswahl. Stattdessen kommt er mit einer persönlichen Anekdote nach der anderen, die ihn als den vielgereisten und daher allesverstehenden Jürgen zeigen sollen, wird aber dann pampig und dünnhäutig, wenn Tilo es genauer wissen möchte.

Tilo konfrontiert ihn auch mit mehreren irritierenden Zitaten, z.B. über den syrischen Diktator Assad, den Todenhöfer in einem Interview allen Ernstes mal als Garanten für ein demokratisches Syrien bezeichnet hat. Schon alleine diese Einschätzung eines kriegsverbrecherischen Diktators diskreditiert ihn in seiner Glaubwürdigkeit im Einsatz für Menschenrechte. Aber an diese Zitate, mit dem ihn Tilo Jung konfrontiert, kann sich Todenhöfer entweder nicht mehr erinnern oder sie seien aus dem Zusammenhang gerissen. Oder Tilo und sein Team können eben nicht richtig recherchieren: "Du verbreitest hier Fake-News!"


Todenhöfer behauptet z.B. auch, unter dem damaligen chilenischen Diktator Pinochet entscheidend daran beteiligt gewesen zu sein, dass Tausende politische Gefangene freigelassen wurden. Das erzählt er mit einem Selbstverständnis und einer Hybris, dass einem die Kinnlade runterfällt. Erst als Tilo nachhakt, wird er etwas kleinlauter und sagt in einem leisen Nebensatz, dass es natürlich nicht er alleine gewesen sei, schließlich habe auch Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher verhandelt. Aber wer ist schon Genscher im Vergleich zu Todenhöfer, würden der Jürgen vielleicht jetzt gerne fragen. Aber tut es doch nicht. Weiß man schließlich auch so.

Den Völkermord an den Armeniern möchte er auch auf mehrfachem Nachfragen hin nicht Völkermord nennen, sondern lediglich als "sehr schlimme Verbrechen." Er beharrt dabei auf seine juristische Einschätzung als ehemaliger Richter. Menschenrechte?

Wenn ihr nur ein paar exemplarische Minuten sehen möchtet, dann klickt euch beim Video in 1h12min mal rein und guckt die folgenden ca. 10 Minuten. Da geht es um Südafrika (da hat der Jürgen dem südafrikanischen Präsidenten die Leviten gelesen), dann Namibia, dann um Chile... vergesst aber das Popcorn nicht.

Und zum Thema "Ehrlichkeit unter Politikern", die Todenhöfer so wichtig ist, schließlich lautet auch der Claim seiner Partei "Menschlich. Ehrlich. Unabhängig", habe ich noch einen zum Schluss:

Als kürzlich der Bundeswahlleiter mitteilte, dass auch "Team Todenhöfer" zur Bundestagswahl 2021 zugelassen sei, behauptete Todenhöfer auf seiner FB-Seite, das "Bündnis für Innovation und Gerechtigkeit", kurz BIG, das sich vor allem für die Belange von Migrant:innen in Deutschland stark machen möchte, habe daraufhin seine Teilnahme an der Bundestagswahl zugunsten von "Team Todenhöfer" zurückgezogen. Der BIG-Vorsitzender Haluk Yildiz wurde damit zitiert, BIG-Anhänger zur Wahl der Partei Todenhöfers auffordern zu wollen. Letzteres ist richtig, das hat Haluk Yildiz tatsächlich getan, zumindest gesagt, dass er das tun wolle.


Aber die BIG Partei hat nicht ihre Teilnahme an der Bundestagswahl zurückgezogen, wie Todenhöfer behauptet, sondern die BIG Partei wurde vom Bundeswahlausschuss für die Wahl erst gar nicht zugelassen, u.a. weil die Partei sechs Jahre lang keinen Rechenschaftsbericht vorgelegt hat [5]. Kein kleiner Unterschied, denn Todenhöfer suggeriert, eine "Migranten"-Partei mache sich für ihn stark und verzichte dafür sogar auf die eigene Teilnahme an der Bundestagswahl, was falsch ist. "Ehrlich"? Sieht anders aus.

Übrigens: Die BIG Partei hat aus opportunistischen Gründen im April dieses Jahres im Frankfurter Römer eine Fraktion gebildet mit den rechtspopulistischen "Bürger für Frankfurt". Kein Witz. Und nicht wenige politische Beobachter halten das BIG für einen Ableger von Erdoğans AKP in Deutschland. Aber das ist ein anderes Thema.

Warum ich über Team Todenhöfer so ausführlich schreibe? Weil ich weiß, dass nicht wenige Menschen mit Migrationsgeschichte mit ihm sympathisieren, offenbar alleine aus dem Grund, weil Todenhöfer sich gegen Islamfeindlichkeit und vermeintlich für die Belange von Migrant:innen einsetzt. Todenhöfer sagt so schöne Sätze wie "Für mich sind alle Menschen gleich". Na, wer hätte das gedacht? Aber es genügt eben nicht, so etwas zu sagen. Man muss es auch umsetzen.

Daher appelliere ich an euch: Hört genau hin, was er sagt. Dann werdet ihr leider schnell feststellen: Da ist ganz viel heiße Luft. Anders gesagt: Todenhöfer ist ein klassischer Populist. Und ein selbstverliebter noch dazu. Keine gute Kombi. Er weiß, was die Leute hören wollen. Und wenn man ihm unbequeme Fragen stellt, um ihn besser zu verstehen, wird er pampig, dünnhäutig und bringt sogar Gestapo-Vergleiche.

Wer sich selbst ein Bild machen möchte, sollte also mal in das Interview reinschauen:

Übrigens: Jürgen Todenhöfer hat dieses Interview auf seinen Facebook-Seiten nicht verlinkt, es mit keiner Silbe erwähnt. Er wird wissen, warum. #todenhöfer #teamtodenhöfer #populismus #btw21 #bundestagswahl #parteien

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