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  • AutorenbildLutz Jäkel

Von Urängsten. Und Menschen.

Ich muss ehrlich sagen, dass ich zu Beginn auch diesen Impuls hatte: Warum wird medial so groß über eine so große internationale Rettungskations von fünf Männern in einem Tauchboot berichtet, das Schiff mit vermutlich über 700 Geflüchteten, das vor der griechischen Küste abgesoffen ist und bei dem Hunderte vom Menschen, darunter viele Frauen und Kinder, elendig ums Leben gekommen sind, verschwindet dagegen so schnell wieder aus dem Fokus? Darüber habe ich mit einem sehr klugen Menschen gesprochen. Ich habe dadurch meine Meinung (in Teilen) geändert, weil ich merkte: Sie hat recht.

Denn was mir nicht so klar war, ist, dass das Schicksal der Männer im Tauchboot an Urängste rührt und daher vermutlich so viele Menschen beklemmend mitnimmt: In Tausenden Metern Tiefe des Meeres gefangen, alles stockfinster um einen herum, keine Kontrolle über die offenbar ausgefallene Technik, wissend, der Sauerstoff reicht nur wenige Tage, ohne Hilfe von außen lässt sich nicht mal das Tauchboot öffnen, unvorstellbare Enge, kein Proviant, nichts, außer auf Hilfe zu warten, dieser Ausweglosigkeit sich stets bewusst sein - und irgendwann zu merken: Da wird keine Hilfe kommen, man wird elendig ersticken, einer nach dem anderen.

Das sind Vorstellungen, die einen Klaustrophobiker in den Wahnsinn treiben können, aber auch bei Nichtklaustrophobikern starke Beklemmungsgefühle auslösen. So ausgesetzt zu sein, sind eben: Urängste. Und deswegen bewegt so viele Menschen das Schicksal der fünf verschollenen Männer. Noch etwas kommt hinzu: Diese Männer haben Gesichter und persönliche Geschichten, von denen wir erfahren, noch dazu waren sie auf dem Weg zu einem Mythos namens Titanic. Dass Tausende Geflüchtete grauenvoll im Mittelmeer ums Leben kommen, ist traurige Realität seit Jahren. Die Menschen haben sich, so unfassbar und ungerecht das ist, leise daran gewöhnt. Und sie haben sehr selten Gesichter und persönliche Geschichten, von denen wir erfahren. Das ist der perfide Unterschied.


Suche nach der Titan. Auszüge von SPIEGEL.de
Über Tage berichteten Medien (hier SPIEGEL.de) ausführlich über die Suche nach der "Titan"

Nun wissen wir: Die Männer haben wahrscheinlich all das so gar nicht erlebt, vermutlich nicht mal ihren Tod gespürt. Denn wenn in dieser Tiefe, offenbar sehr plötzlich, ein solches Tauchboot wegen eines technischen Defekts implodiert, geht alles sehr schnell.

Wenn ich aber jetzt teilweise in Beiträgen und Kommentaren auf Social Media diese Häme, ja sogar manchmal Freude darüber lese, dass diese fünf Männer ums Leben gekommen sind - schließlich haben sie sich für sehr viel Geld dieser Gefahr selbst ausgesetzt und, he, das waren Milliardäre, haben sie es nicht irgendwie verdient? - dann bekomme ich das kalte Kotzen. Auch da bekomme ich dann Beklemmungsgefühle ob dieser unfassbaren Empathielosigkeit. Hier sterben qualvoll Menschen, dort sterben qualvoll Menschen. Macht das einen Unterschied?

Ich beobachte, dass solche widerliche Häme oder gar Freude sehr stark aus linken Kreisen kommen, von Menschen also, die sich tendenziell eher für Menschenrechte und vor allem Menschenleben und gegen Menschenverachtung einsetzen und stark machen (meistens nur theoretisch mit schönen Worten, ganz praktische Hilfe leisten ja nur die Wenigsten). Wer aber meint, sich hämisch über den Tod dieser fünf Männer auslassen zu müssen, der ist nicht weniger menschenverachtend als diejenigen, denen diese vermeintlichen Gutmenschen - ich darf das schreiben, weil ich selbst ein linksgrünversiffter Gutmensch bin - es zum Vorwurf machen. Menschen sind Menschen, egal ob Milliardär oder Geflüchteter. Wer hier unterscheidet, will sich moralisch überlegen fühlen - und tut damit genau das Gegenteil.

Aber natürlich kann und muss die Frage gestellt werden: Warum wird ein so großer internationaler Aufwand betrieben zur Rettung von fünf Männern, für Hunderte von Geflüchteten vor der griechischen Küste aber nicht? Die Antworten fallen leider sehr ähnlich aus wie zur Frage nach der medialen Aufmerksamkeit. Das ist schon sehr bitter und frustrierend.

Und selbst wenn man Skrupel hat, hier zu vergleichen, so ist diese Frage wirklich berechtigt: Warum werden tote Geflüchtete aus dem Meer gezogen, Überlebende an Land mehr oder weniger versorgt - aber keine Bemühungen unternommen, die Toten im Wrack des Schiffes auf Grund wenigstens zu bergen? Für die Angehörigen muss es fürchterlich sein, nicht zu wissen, was mit ihren Liebsten genau passiert ist. Nach Bekanntwerden über das Tauchboot, dass es sehr wahrscheinlich implodiert ist, war das nämlich eine der ersten Fragen: Gibt es eine Chance, die Toten zu bergen? Diese Frage hat man beim Kutter im Mittelmeer nicht gestellt.

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