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  • AutorenbildLutz Jäkel

Geschichtsvergessen. Oder: Einmal wie Sophie Scholl sein.

Glosse

Die junge Frau in diesem Video ist Jana. Jana ist 22 Jahre alt und kommt aus Kassel. Jana rührt morgens in ihrem heißen Kakao, streichelt noch schnell ihre schnurrende Katze, muss dann aber schon wieder los. Denn Jana ist im Widerstand, eine Heldin, eine Kämpferin. Seit Monaten ist sie aktiv im Kampf gegen die Diktatur, sie geht auf Demos, hält Reden, verteilt Flyer und, hui, meldet sogar selbst Demos an. Potzblitz.

Schade ist natürlich, dass diese Freiheitskämpfer, wie Jana eine ist, immer in die rechte Ecke gestellt werden. Und das nur, weil sie die Corona-Maßnahmen des Merkel-Regimes scheiße finden, pardon, kritisieren, sich ihrer Rechte und des Grundgesetzes beraubt fühlen, sich in einer Diktatur wähnen, in der man nicht mehr seine Meinung sagen dürfe; das gehe ja schon soweit, dass man im Kampf für die Demokratie nicht mal mehr mit Rechten und Rechtsradikalen, auch nur Menschen, auf die Straße gehen darf!

Soweit sind wir schon. Das ist doch alles wie früher, das hatten wir doch alles schon mal!

Findet auch Jana. Deswegen fühlt sich Jana wie Sophie Scholl. Die war ja auch 22 Jahre alt, als sie "den Nationalsozialisten zum Opfer fiel", wie Jana es so schön formuliert. Stimmt zwar nicht, denn Sophie Scholl wurde keine zwei Monate vor ihrem 22. Geburtstag vom Nazi-Richter Roland Freisler verurteilt und noch am selben Tag mit der Guillotine hingerichtet. Aber das sind nur Details. Es geht ja um die Sache.

Daher zurück zu Jana. Denn klar, die Situation damals, unter den Nationalsozialisten, als Sophie Scholl zusammen mit ihrem Bruder Hans und dem Freund Alexander Schmorell die Widerstandsgruppe "Weiße Rose" gründete und sie alle unter Lebensgefahr Flugblätter verteilten, das war ja wie heute, wenn man in Hannover an einem kalten Novemberabend auf einer Bühne steht, vom Zettel ein paar Sätze abliest, gegen die Corona-Diktatur sich erhebt und dabei von Polizisten und Ordnern bewacht wird, damit Jana das auch ungestört tun kann. Die Gefahr einer Verhaftung, Verurteilung und Hinrichtung durch eine Guillotine ist spürbar. Deswegen sagt Jana: "Ich kann und werde niemals aufhören, mich für Freiheit, Frieden, Liebe und Gerechtigkeit einzusetzen."

Aber dann kommt da plötzlich ein Ordner daher, stört einfach so die heldenhaften Worte Janas, reicht Jana seine orangefarbene Warnweste, ist aufgebracht: "Für so einen Schwachsinn mache ich keinen Ordner mehr." Jana versteht nicht. Der Ordner wiederholt: "Beim besten Willen, so ein Schwachsinn. Sophie Scholl – du bist doch hängen geblieben." Jana versteht nun die Welt nicht mehr. Ihr ganzer Einsatz für das deutsche Volk, für Freiheit und Liebe, wie Sophie eben, alles nichts mehr wert? Der Ordner ruft, während er von der Polizei zur Seite geschoben wird, Jana noch hinterher: "Du bist mehr als peinlich!"

Das ist zu viel für Jana, die Freiheitskämpferin. Sie dreht sich um, weint ins Mikrofon. Als ein Mann sie trösten möchte, knallt sie voller Verzweiflung das Mikrofon und ihren Redezettel - dabei war sie noch gar nicht fertig mit der Rede! - auf die Bühne. Sophie hätte das genauso gemacht!

Zurück in Kassel sitzt Jana auf dem Sofa, eingemummelt in eine warme Decke, den Kakao in der Hand, noch immer verzweifelt und traurig. Die Katze schnurrt. So geht man also in einer Corona-Diktatur mit Helden um? Tja. Diese Szene in Hannover, nur eine gute Minute lang, festgehalten in diesem Video, verdichtet auf so entlarvende Art, wie sich Querdenker und sonstige Corona-Verharmloser in ihrer egomanischen Selbstgerechtigkeit und Selbstüberhöhung als Widerstandshelden stilisieren, feiern lassen, bar jeden historischen Wissens nicht mal Vergleiche mit den tragischen Schicksalen der Widerstandskämpfer im Nationalsozialismus scheuen. Und dann kommt ein Ordner, sagt, man sei einfach nur peinlich mit diesem Vergleich, und das ganze Heldentum verpufft in wenigen Sekunden zu einer jämmerlichen Gestalt.

Ordner, wer immer du auch bist, wie immer du auch heißt, auch wenn du als Ordner auf einer Querdenker-Demo warst: Danke für deine Haltung! So geht Widerstand gegen diese widerliche Selbstüberhöhung.

Hat Jana aus der Aktion gelernt? Eher nicht. Denn kurz nach diesem Vorfall kam sie zurück auf die Bühne, stammelte vor sich hin und wiederholte diesen Vergleich. Text © Lutz Jäkel

Cartoon © Guido Kühn

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